UrsprĂŒnglich hatten Immo und ich geplant, Anfang August in den Walliser Alpen von Arolla zum Grossen St. Bernhard einen ersten lĂ€ngeren Abschnitt als Teil meines ThruHike des AlpenpĂ€sse-Weg zu absolvieren, doch das Wetter hat uns komplett einen Strich durch die Rechnung gemacht; mit Temperaturen teils unter dem Gefrierpunkt und massig Schneeregen wĂ€re die Distanz in den meinerseits verfĂŒgbaren fĂŒnf Tagen nicht zu schaffen gewesen…
Entsprechend musste eine Alternativroute her, und die liess sich im etwas milderen Tessin finden. Dem starken Westwind wegen lag die bereits vor einigen Jahren ins Auge gefasste Begehung der Via Alta Vallemaggia ĂŒber eine lĂ€ngere Distanz hinweg ebenfalls nicht drin, deshalb haben wir uns fĂŒr eine weniger exponierte aber immer noch recht anspruchsvolle RoutenfĂŒhrung entschieden. Gerne nehme ich euch mit auf die Reise vom Centovalli in die Leventina! đ
Distanz: ca. 100km
Höhenmeter: ca. 9’100m hoch / 8’800m runter
Marschzeit: rund 43h
GPS-Route: SchweizMobil
Piana di Vigezzo – Spruga – Alpe di PorcarĂ©sc (Tag 1)
Mit dem Zug geht’s frĂŒhmorgends in Bern los, wir schreiben den dritten August 2023. Nach einem kurzen Zwischenhalt in Domodossola mit einem echten italienischen Espresso kurven wir mit einer alten Garnitur durchs Centovalli bis nach Santa Maria Maggiore. Da wir heute mehr als genug Höhenmeter hinter uns bringen werden, sparen wir uns die Tortur hoch zur Piana di Vigezzo, warmlaufen können wir uns auch nach der Fahrt in der Gondelbahn. Der Wanderweg fĂŒhrt uns zuerst entlang von Skipisten bis kurz unterhalb des Cima Trubbio, dann traversieren wir saftiggrĂŒne Wiesen hoch zur Bochhetta della Cima. Von der kleinen Kapelle Madonna del Rosario queren wir unterhalb des Cima del Sassone zur Alpe Motto Sotto, wo wir uns ein erstes PĂ€uschen zur StĂ€rkung gönnen. KĂŒhl und feucht ist es, jedoch nicht unangenehm. Danach geht’s steil runter im dichten Wald vorbei an den Bagni di Craveggia und ĂŒber den Isorno-Fluss sowie die Schweizer Grenze. Ein kleines geteertes StrĂ€sschen fĂŒhrt uns schliesslich hoch nach Spruga, wo wir Mittagspause machen.
Der Anstieg nach Spruga ist fĂŒr mich wahrlich hart, ich frage mich, welches Kamel mich denn geritten hat, hier hochzusteigen. Wir passieren den schönen Weiler Pansieco mit zwei freundlichen Pferden sowie die Alp Al PescĂ©d mit mehreren brutal stinkenden Geissböcken, danach gehts an der Flanke des MunzzelĂŒmm hoch zum Pass dal Bösan. Unterwegs kommen uns Touristen in Crocs und Turnschuhen entgegen, was erstaunt, erst beim Zvieri finden wir heraus, dass sie wohl mit der Gondel auf die Capanna Salei gefahren sind und lediglich besagten HĂŒgel umrunden, alles andere wĂ€re mehr als fahrlĂ€ssig.
Auf der Passhöhe eröffnet sich ein schöner Ausblick auf das Vergeletto-Tal, und einen grossen Steinbruch auf der gegenĂŒberliegenden Talseite. Der Wanderweg fĂŒhrt runter durch einen Kessel und hĂ€lt dann im Grossen und Ganzen die Höhe auf ca. 1’800m.ĂŒ.M. bis ins Talende bei der Alpe Porcaresc. Wunderschön gewisse Passagen im Wald und auf grossen Steinblöcken, da haben die Wanderweg-Bauer hervorragende Arbeit geleistet. Etwas mĂŒhsam dann der letzte Abschnitt, als der Wanderweg eher zum Bach wird, die fĂŒrs Zelten anvisierte Alpe die Madei wegen KĂŒhen sich disqualifiziert und auch noch meine Uhr den Geist aufgibt. Die Luft ist raus bei mir, ich bin froh als ich nach diesem harten ersten Tag mit einer phantastischen Aussicht in mein Zelt kriechen und mein Nachtessen vertilgen kann…
Distanz: ca. 27km
Höhenmeter: ca. 1’700m hoch / 1’600m runter
Marschzeit: ca. 8h30
Beschrieb: Sentiero SalĂši e Pizzo Zucchero (Nr. 638), Abschnitt Spruga – Al PiĂšgn di Cunch
Alpe di PorcarĂ©sc – Cimalmotto – Bann (Tag 2)
Ich habe unruhig geschlafen, doch die Vorfreude auf den neuen Tag lĂ€sst mich rausch aus den Federn schlĂŒpfen. Kurz nach sieben Uhr marschieren wir los, begegnen dem AlpkĂ€ser der Alpe die Porcaresc und steigen zum AufwĂ€rmen gleich hoch zum Lago della Cavegna. Steil und technisch anspruchsvoll geht es dahinter runter zur Alpe di Sfii. Der Abschnitt im Wald entlang der Schlucht, in der das gleichnamige FlĂŒsschen verlĂ€uft, macht Laune, die Höhenmeter spĂŒre ich jedoch etwas in den Knien. In Cimalmotto machen wir erstmal Pause und ich gönne mir ein Stehbad im Brunnen… đ
Hinter dem Dörfchen geht es gleich wieder hoch, wir passieren die Quadrella di Fuori, einen hĂŒbschen Weiler oberhalb eines ziemlich trockenen NadelwĂ€ldchens. Nach kurzer Pause nehmen wir den steilen Weg hoch zum Passo Quadrella in Angriff, wo wir Mittagspause machen, die Grossalp mit ihren Skiliften und darunter das hinter einem WaldhĂŒgel zusammengekauerte Dörfchen Bosco Gurin ausmachen können. Dichte Wolken ziehen auf und der Wetterfrosch weiss nichts Gutes zu berichten, Platzregen und Sturmwind sind angesagt. So beschliessen wir raschmöglichst zum Restaurant auf der Grossalp zu gelangen und dann zu entscheiden, wo wir die Nacht verbringen wollen… Als wir in die warme Gaststube eintreten, beginnt es draussen zu regnen und hageln an, was fĂŒr ein GlĂŒck wir haben! Doch die Freude wĂ€hrt nicht sehr lange, denn das Personal des Sessellifts sieht sich gezwungen, bereits kurz nach drei Uhr alle Wanderer sowie die Restaurantmitarbeiter vor den angekĂŒndigten Windböen ins Tal zu fahren. Immo und ich beschliessen den Regen auszusitzen, denn das Regenradar lĂ€sst vermuten, dass die Gewitterzelle um fĂŒnf Uhr ĂŒber uns hinweggezogen sein wird. Also sitzen wir mutterseelenallein den Regen aus, erkunden die Infrastruktur und schmieden PlĂ€ne, wo wir im schlimmsten Fall vom Wetter geschĂŒtzt ĂŒbernachten könnten, die Sesselbahn öffnet erst nach neun Uhr am Folgetag. Als das Wetter aufklart, packen wir unsere Siebensachen und ziehen weiter in Richtung Bann, denn die Bochetta Formazzöö wollen wir möglichst frĂŒh ĂŒberqueren, ein Gewitter auf fast 2’700m.ĂŒ.M. wĂ€re nicht sehr clever. Auf einer Anhöhe neben einem kleinen See stellen wir schliesslich unsere Zelte auf, der auffrischende Wind aus Richtung Norden lĂ€sst aufhorchen…
Es wird eine stĂŒrmische Nacht, mit Windgeschwindigkeiten bis zu 80km/h rĂŒttelt der Nordföhn an unseren Zelten, ans Schlafen ist kaum zu denken. Die Temperaturen purzeln auf knapp 5 Grad, ich bin froh, meinen warmen Quilt dabeizuhaben…
Distanz: 18.2km
Höhenmeter: 1’560m hoch / 1’140m runter
Marschzeit: 7h
Beschrieb: Via Alta Vallemaggia, Etappe 12 (Grossalp – Cimalmotto)
Bann – Capanna Piano delle Creste – San Carlo (Tag 3)
Etwas ĂŒbernĂ€chtigt starten wir kurz vor sieben Uhr, die klammen Finger und mĂŒden Beine wĂ€rmen sich beim steilen Aufstieg durch das erste Blockfeld der weiss-blau-weissen Routen der Via Alta Vallemaggia rechts schnell auf. Die Aussicht auf der Bocchetta Formazzöö ist wunderschön und belohnt fĂŒr die Kraxelei, imposant zu sehen, wie schnell die Wolken ĂŒber unseren Köpfen gen SĂŒden fliegen. Der Aufenthalt auf Passhöhe ist nicht sehr lang, der Nordwind bitterkalt. Also geht es zĂŒgig runter wieder durch ein ausgiebiges Blockfeld und schliesslich rechts ab runter zum sĂŒdlichen Lago die Formazzöö, wo wir eine kurze Rast einlegen.
Dass das Val CalnĂšgia abgelegen ist, das sieht man ihm nicht nur an, der Wanderweg auf dem wir uns in Richtung Gradisc bewegen ist kaum begangen und deshalb fast komplett ĂŒberwuchert. Bevor wir zur Alpe della CrĂČsa und dem gleichnamigen See aufsteigen, machen wir noch Mittagspause und geniessen die Ruhe. Der anschliessende Aufstieg ist wiederum in steilem und sehr trockenem GelĂ€nde, erinnert stellenweise an die Sierras. Als wir auf dem Plateau oberhalb von Mött ankommen, verschlĂ€gt uns die Aussicht auf den Lago della CrĂČsa fast den Atem, hier wĂŒrden wir gerne bleiben, wĂ€ren da nicht Schnee und Temperaturen unter dem Gefrierpunkt am nĂ€chsten Tag angesagt!
Wir wandern weiter und nĂ€hern uns der Bochhetta della CrĂČsa, der mich an den Forrester Pass (das ist der höchste Pass auf dem PCT) erinnert, einfach in Miniatur. Schroff der Einschnitt auf Passhöhe, spektakulĂ€r die Aussicht ins gegenĂŒberliegende Tal mit dem Laghetti d’Antabia und der Capanna Piano delle Creste. Der Abstieg im losen Gestein ist etwas sketchy zu Beginn, ab Höhe des Sees geht es jedoch zĂŒgig runter zur HĂŒtte, wo wir uns eine Erfrischung gönnen. Tagesziel ist unterhalb von ca. 1’700m.ĂŒ.M. jedoch noch oberhalb von San Carlo ein PlĂ€tzchen fĂŒr unsere Zelte zu finden, auf einer Lichtung mit drei Rustichi werden wir schliesslich fĂŒndig, danke dem Besitzer fĂŒr sein stillschweigendes EinverstĂ€ndnis dass wir auf seiner Terrasse schlafen dĂŒrfen…
Distanz: 15.6km
Höhenmeter: 1’250m hoch / 2’085m runter
Marschzeit: 9h15
Beschrieb: Via Alta Vallemaggia, Etappe 11 (Abschnitte Capanna Piano delle Creste – Bocchetta della CrĂČsa sowie Bocchetta Formazzöö – Bann)
San Carlo – Robiei – Lago del Naret – Campo di Sotto (Tag 4)
Die Nacht ist angenehm kĂŒhl und absolut ruhig, ausgeschlafen geht es bereits frĂŒh in Richtung San Carlo runter, wo wir rund eine Stunde spĂ€ter genĂŒsslich einen Kaffee im Ristorante Basodino schlĂŒrfen. Das Wetter will zum Nachmittag hin kalte Temperaturen, Regen oder gar Schnee bringen, deshalb beschliessen wir mit der Gondel nach Robiei zu fahren, um dem gröbsten Ungemach ins Valle di Sasso Nero zu entkommen. Notfallplan ist ein Abstieg ins Peccia-Tal mit Busverbindung ab Piano di Peccia… In Robiei angekommen eröffnet sich der Blick auf den Basodino-Gletscher, und je höher wir in Richtung Lago Nero steigen, natĂŒrlich auch auf die vielen gestauten Seen. Ab LiĂšlp drehen wir rechts ab in Richtung Bochhetta della Froda, folgen jedoch dann dem Weg ĂŒber ein Blockfeld zum Lago Nero. Knapp unterhalb der Bocchetta de Lago Nero machen wir Mittagspause, das Wetter scheint kippen zu wollen, die Wolken werden dichter und der Wind kĂŒhler…
Auf dem Sattel beginnt es kurz zu nieseln und geht ĂŒber in leichte Schneeflocken, ein Grund nicht dem Gratweg oberhalb des Val del Coro zu folgen sondern in Richtung Rifugio Sasso Nero hinunter zu steigen. Wunderschön unberĂŒhrt prĂ€sentiert sich die Landschaft, eine Augenweide! Kurz gucken wir ins Rifugio rein, eine tolle HĂŒtte um mit ein paar Freunden eine Nacht zu verbringen. Danach geht es stĂŒrmisch hoch zum Passo del Sasso Nero, wo wir kurz innehalten mit Blick auf den Lago del Naret und seiner langgezogenen Staumauer.
ZĂŒgig umrunden wir – der kalte Wind ist nicht sehr angenehm – den Stausee zur östlichen Seite hin und steigen ins Val Sambuco ab. Dabei folgt der Wanderweg der quasi beim Stausee entsprungenen Maggia, passiert saftig grĂŒne Wiesen und unterhalb des Grasso di Dentro einen mĂ€rchenhaften Wald. Knapp oberhalb des Campo di Sotto stellen wir direkt neben der Maggia unsere Zelte auf, geniessen noch die letzte Sonnenstrahlen bevor es wieder zu nieseln beginnt.
Distanz: 20.7km
Höhenmeter: 1’235m hoch / 1’975m runter
Marschzeit: 8h30
Beschrieb: Sentiero Cristallina (Nr. 59), Etappe 2 (Abschnitt Robiei – Lielp)
Campo di Sotto – Passo Sassello – Rifugio Garzonera – Airolo (Tag 5)
Die Nacht war wettertechnisch friedlich, wiederum frĂŒh packen wir unsere RucksĂ€cke und laufen los. Heute geht es ein letztes Mal ĂŒber einen Pass, diesmal queren wir in die Leventina nach Airolo runter, Endpunkt unserer fĂŒnftĂ€gigen Wanderung. Der Aufstieg ĂŒber die Alpe Sassello mit seinen zwei herzigen FerienhĂ€uschen und dem steilen und rutschigen letzten Abschnitt geht locker von den Beinen, oben angekommen weht jedoch ein eiskalter Wind, der uns sogleich den Abstieg unter die FĂŒsse nehmen lĂ€sst.
Quasi einer kleinen Extrameile gleich passieren wir in östlicher Richtung den Lago di Prato, queren die historische Staumauer des Lago della Valletta und verkriechen uns fĂŒrs Zmittag ins warme aber verlassene Rifugio Garzonera. Nachdem ich meine sĂ€mtlichen EssensvorrĂ€te aufgefuttert habe, laufen wir – einem Spaziergang gleich – ĂŒber Nante ins Tal. Auch wenn wir «nur» fĂŒnf Tage unterwegs gewesen sind, soviel Infrastruktur, Verkehr und LĂ€rm aufs Mal zu begegnen gleicht einem kleinen Schock. Welcome back in der Zuvielisation! đ
Distanz: 18.5km
Höhenmeter: 950m hoch / 1’425m runter
Marschzeit: 5h15
Beschrieb: Sentiero Cristallina (Nr. 59), Etappe 3 resp. AlpenpĂ€sse-Weg (Nr. 6) Etappe 13 (Abschnitt Motto di Nante – Airolo)